Verstärkertechnik in der Audiowelt Teil 1/5: Einleitung und Historie

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Aus ELVjournal 06/2005     0 Kommentare
 Verstärkertechnik in der Audiowelt Teil 1/5: Einleitung und Historie

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Bei Musikern wie Musikliebhabern ist nach wie vor guter Sound das A und O. Dabei spielt es keine Rolle, ob es um die zu verstärkende Gitarre, die Stereoanlage oder um eine Veranstaltung geht. Es ist immer Verstärkerelektronik im Spiel. Wir beginnen eine Artikelserie, die sich ausführlich mit diesem Thema beschäftigt.

Musik, Musik …

Die elektronische Übertragung von Sprache und Musik ist aus unserem heutigen, modernen Leben nicht mehr wegzudenken. So informiert uns das Radio morgens über das Neueste aus der Welt, die freundliche Stimme am Bahnsteig nennt uns die Richtung der einfahrenden Züge, und am Wochenende genießen wir Musik im Wohnzimmer oder auf einer Veranstaltung. Alles ganz selbstverständlich. Mal kommt die Musik von der CD oder aus dem Radio, mal wird über ein Mikrofon gesprochen oder mit einer Musikgruppe elektrisch verstärkt gespielt. Jedesmal sind elektronische Verstärker im Spiel, die die elektrischen Signale aus den Signalquellen in kräftige Ströme verwandeln, um sie über Lautsprecher hörbar zu machen. Viele verschiedene Anwendungen für einen einzigen Zweck, nämlich den Betrieb eines Lautsprechers zur Wiedergabe von Sprache und Musik. Wir möchten Ihnen in einer Artikelserie die verschiedenen Verstärkertechniken in der Audiowelt, sei es für ein Musikinstrument, für die Beschallung des Bahnsteigs, für die heimische Stereo- bzw. Surroundanlage oder aber für das Rockkonzert am Wochenende von den Anfängen bis heute näher bringen. Wir wollen die Anfänge der Röhrentechnik, die bahnbrechenden Entwicklungen der 50er Jahre und natürlich die Transistortechnik in den verschiedenen Anwendungen unter die Lupe nehmen. Hierbei kommen sehr viele Fragen, Begriffe und Technologien zur Sprache, welche viele Verwirrungen und Fehlinterpretationen verursachen können: Wie viel Watt brauche ich? Warum muss ein Frequenzgang von 0 Hz bis 1 MHz gehen? Ist ein Verstärker mit 0,001 % Klirrfaktor immer besser als einer mit 0,1 %? Sind Röhren oder Transistoren besser? Was bedeutet 110 dB Rauschabstand? Was ist ein Class-A- oder ein Class-G-Verstärker? Was verbirgt sich hinter den Begriffen „single-ended“ und gebrückt? Was bedeutet vollsymmetrisch? Warum verwendet man geschaltete oder digitale Verstärker? Und, und … Fragen über Fragen! Diese Artikelserie soll einen Einblick in den – gar nicht so geheimnisvollen – Dschungel der Audioverstärkertechnik in den verschiedensten Anwendungen geben. Sie befasst sich mit den verschiedenen Schaltungstechniken, die im Laufe der Zeit für die verschiedensten Anforderungen in der Beschallung entwickelt wurden. Es ist eine Artikelserie für die Neugierigen, die es schon lange einmal genauer wissen wollten, als auch für Profis zur Ergänzung ihres Wissens. Eine Serie für Hörer, Entwickler, Beschaller und Musiker. Und selbstverständlich auch für Selbstbauer! Es sollen keine wissenschaftlichen Aufsätze mit Theorie und Mathematik bis ins letzte Detail sein, sondern Beiträge mit umfangreichen Informationen und vielen praktischen Themen zum beliebigen Weiterverarbeiten. Bitte beachten Sie: Diese Serie enthält schaltungstechnische Details, die zum Teil patentrechtlich geschützt sind und somit nicht ohne weiteres gewerblich genutzt werden dürfen!

So fing alles an …

Nach der Entwicklung der Elektronenröhre durch Robert v. Lieben in Österreich und Lee Forrest in Amerika, basierend auf dem Edisoneffekt, Ende des 19. Jahrhunderts, begannen namhafte Firmen wie z. B. Dietz und Ritter, Philips oder Telefunken in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts mit der Entwicklung von Audioverstärkern für die Wiedergabe von Schallplatten und Radioprogrammen sowie für die Beschallung von Kinos, Sälen und Großveranstaltungen. Zu dieser Zeit gab es nur Trioden, also Röhren mit 3 Elektroden. Über die Glühkatode wurden damals mittels eines glühenden Wolfram-Drahtverhaus die Elektronen ausgesendet und bei den kommerziellen Röhren mit einem rohrförmigen Blech – der Anode – wieder eingefangen.
Bild 1: Die Liebenröhre (Quelle: Elektor)
Bild 1: Die Liebenröhre (Quelle: Elektor)
Bei der Liebenröhre war die Anode ein spiralförmiger Draht – dementsprechend schlecht war die „Fangquote“. Nach Anlegen einer hohen Gleichspannung an Anode und Katode floss der Elektronenstrom von der Katode zur Anode. Mit dem Steuergitter, einem feinen Drahtgeflecht um die Katode, konnte der Elektronenstrom mit einer zur Katode negativen Steuerspannung bis zum Abriss verringert werden. Diese Anordnung, die Triode, ist die einfachste steuerbare Verstärkerröhre. Bis Ende der 20er Jahre wurden sämtliche Verstärker mit Trioden mit Eintakt-Class- A-Technik gebaut. Das heißt, die Röhre wird über das negativ vorgespannte Steuergitter gegen die Katode angesteuert. Dadurch entsteht eine „verstärkte“ Änderung des Elektronenstroms zwischen Katode und Anode. Die verstärkte Ausgangsspannung kann entweder über den Spannungsfall eines Widerstands im Anodenkreis oder über einen Transformator im Anodenkreis abgegriffen werden. Class-A-Technik bedeutet bei einem Eintaktverstärker, dass die Hälfte des max. Betriebsstroms im Ruhezustand durch die Röhre fließt. Die einzelnen Stufen der Verstärker wurden anfangs über Transformatoren miteinander verbunden (Abbildung 2). In dieser Technik wurden Verstärker bis über 200 W Sprechleistung gebaut. Ein Wahnsinn, wenn man bedenkt, dass der Wirkungsgrad dieser Schaltungstechnik unter 20 % liegt. Hierfür wurden Trioden bis zu einem halben Meter Länge und mit 1000 W Verlustleistung verwendet. (RV 216, Telefunken, Abbildung 3).
Bild 2: Schaltbild aus einer Patentschrift eines Eintaktverstärkers von 1918 (Quelle: Elektor)
Bild 2: Schaltbild aus einer Patentschrift eines Eintaktverstärkers von 1918 (Quelle: Elektor)
Bild 3: Einige Röhren der Großverstärkertechnik von 1930 (Quelle: Elektor)
Bild 3: Einige Röhren der Großverstärkertechnik von 1930 (Quelle: Elektor)

Moderne Technik?

Bild 4: Schaltbild einer Gegentaktendstufe von 1930 (Quelle: Elektor)
Bild 4: Schaltbild einer Gegentaktendstufe von 1930 (Quelle: Elektor)
In den 30er Jahren wurde in den USA die Gegentaktschaltung entwickelt, mit der die Leistungsausbeute der Röhren auf ein Mehrfaches und der Wirkungsgrad auf max. 50 % gesteigert werden konnte. Die Gegentaktschaltung bei den klassischen Röhrenverstärkern funktioniert mit 2 Röhren, die mit um 180 Grad versetzten Signalen einen Übertrager ansteuern, der die zwei Signale sozusagen zusammensetzt und daraus das Ausgangssignal generiert. Das folgende Schaltbild zeigt eine der frühen Varianten dieser Technik mit einem Zwischentransformator zur Phasenumkehr (Abbildung 4). Etwa zur gleichen Zeit kamen die Mehrgitterröhren auf: die Tetrode und die Pentode, entwickelt von Langmuir und Schottky ab 1919. Diese Röhren hatten durch die Erweiterung des Röhrensystems mit einem Schirmgitter zwischen Steuergitter und Anode, welches die Anodenrückwirkung auf das Steuergitter eliminierte, den Vorteil einer viel höheren Verstärkung und einer höheren Leistungsausbeute. Die Anodenrückwirkung kann mit dem Millereffekt bei Transistoren verglichen werden. Die Gegentakttechnik mit Pentoden wurde von Spezialisten wie Hafler und Kereos, Willamson, Peter Walker (QUAD) und Frank McIntosh bis zur absoluten Perfektion weiterentwickelt. Hierbei galt es, Frequenzgang, Leistung und Bedämpfung des Lautsprechers immer höher zu treiben und Störgrößen wie Rauschen, harmonische Verzerrungen, Phasenverschiebungen und Intermodulationen immer weiter zu minimieren. Die ausführliche Beschreibung dieser Technologien würde den Rahmen des Artikels sprengen. Die Verstärkertechnik von QUAD und McIntosh waren die absoluten Highlights der Röhrentechnik der 50er Jahre und können auch heute noch mit aktuellen Entwicklungen mithalten. Dem Klangniveau dieser Geräte konnte in der heutigen Zeit kaum etwas hinzugefügt werden. Die Technologien der QUAD- und McIntosh-Verstärker sind heute noch die Basis vieler Top-Röhrenverstärker in Gegentaktschaltung. Highend was born. Im Zuge der Kommerzialisierung der Röhrentechnik machte man sich immer mehr Gedanken über die Kosten. Einen Röhrenverstärker zu produzieren, war immer sehr teuer gewesen. Man benötigte die Röhren, sehr teure Präzisionsbauelemente, man benötigte sehr aufwändig gewickelte Transformatoren mit hochwertigen Blechen für einen guten Frequenzgang und niedrigen Klirrfaktor, anfangs zur Kopplung der einzelnen Verstärkerstufen untereinander sowie zur Ankopplung des niederohmigen Lautsprechers an die hochohmigen Röhren. Später, mit der Weiterentwicklung der Schaltungstechnik, war nur noch ein Ausgangsübertrager für den Lautsprecher notwendig. In den 60ern wurden dann auch Röhrenverstärker ohne Ausgangsübertrager entwickelt, welche aber damals keine größere Bedeutung erlangten. Man benötigte exotische, hochohmige Lautsprecher oder musste viele niederohmige Röhren parallel schalten, um einen normalen Lautsprecher betreiben zu können.

1947: Die Revolution der modernen Elektronik!

Der Transistor Im Dezember 1947 gelang es den Herren John Bardeen, Walter Brattain und William Shockley, in den Bell-Labs den ersten Transistor herzustellen. Diese bahnbrechende Erfindung wurde 1951 patentiert und 1956 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Mit dem Aufkommen der ersten Transistorradios 1954 wurde die kleine Firma Texas Instruments als damals weltweit einziger Großserienhersteller für Transistoren weltbekannt. Ein paar Meilensteine aus den Anfängen der Halbleitertechnik:

1948 – Punkt-Kontakt-Transistor
1950 – Einkristall-Germanium
1952 – Einkristall-Silizium
1955 – Diffused Basetransistor
1960 – Planar Transistor
1960 – MOS Transistor
1960 – Epitaxial Transistor
1961 – Integrierte Schaltung

In den 60ern kamen dann die ersten Transistorverstärker auf, welche anfangs noch ähnlich wie Röhrenverstärker mit Zwischen- und Ausgangsübertrager gebaut waren (Abbildung 5).
Bild 5: Schaltbild einer der ersten kommerziellen Transistorendstufen von Telefunken 1964 (Quelle: Elektor)
Bild 5: Schaltbild einer der ersten kommerziellen Transistorendstufen von Telefunken 1964 (Quelle: Elektor)
Diese Endstufenschaltungen waren noch bis in die 80er Jahre hinein in tragbaren Transistorradios zu finden. Die Techniken der Transistorverstärker wurden in den 70er und 80er Jahren mit der Weiterentwicklung der Transistoren zur Perfektion getrieben. Anfang der 70er gab es nur NPNLeistungstransistoren bis 60 V und 15 A Maximalstrom (z. B. 2N3055), mit denen sich Verstärker bis ca. 200 W Ausgangsleistung an 4 Ω aufbauen ließen. Die Audioperformance war auch durch die sonstigen technischen Daten der Transistoren begrenzt. Es gab keine Komplementärpaare größerer Leistung mit relativ linearer Stromverstärkung und hoher Transitfrequenz. Diese Transistoren wurden erst Ende der 70er Jahre entwickelt und auf den Markt gebracht. Dennoch gelang es einigen Entwicklern, aus diesen langsamen und wenig linearen Bauteilen beachtliche Tonqualitäten herauszukitzeln. Hier tauchen wieder die Namen QUAD und McIntosh auf. Mit den neuen Leistungstransistoren mit Kollektor-Emitter-Spannungen bis über 300 V und Transitfrequenzen bis 60 MHz sowie mit neuen und teils aufwändigen Schaltungstechniken mit symmetrischen Differenzverstärkern am Eingang konnten Ausgangsleistungen bis über 1000 W bei Klirrfaktoren bis unter 0,001 % erreicht werden. Es war jetzt auch möglich, Lautsprecher mit Impedanzen unter 1 Ω ohne spezielle Übertrager zu betreiben. Frequenzgänge vom Gleichstrom bis in den Mittelwellenbereich waren aufgrund der verfügbaren, sehr schnellen Leistungstransistoren, kombiniert mit schnellen Vorverstärkerschaltungen, kein Problem mehr.
Bild 6: Die legendäre McIntosh MC 275 kann sich auch heute noch in der Referenzklasse behaupten
Bild 6: Die legendäre McIntosh MC 275 kann sich auch heute noch in der Referenzklasse behaupten
Allerdings konnten die klanglichen Eigenschaften eines Top-Röhrenverstärkers, z. B. eines MC 275 von McIntosh, zum Teil kaum erreicht bzw. übertroffen werden (Abbildung 6). Man war zwar in der Lage, wesentlich höhere Ausgangsleistungen zu realisieren, die Klangqualität eines Verstärkers am passenden Lautsprecher war aber schon in den 60er Jahren nahezu ausgereizt.Ein weiterer Meilenstein in der Verstärkertechnik war die qualitativ hochwertige Realisierung von getakteten, pulsweitenbzw. Delta-Sigma-modulierten Verstärkern Mitte der 90er Jahre. Federführend war und ist hier die Firma Tripath in den USA, die als Erste brauchbare Modulatormodule und Applikationen zum Aufbau von Leistungsverstärkern bis über 1000 W auf den Markt brachte. Studien zu dieser Technik wurden bereits in den 70ern von Sony getätigt. Allerdings waren zu diesem Zeitpunkt noch keine ausreichend schnellen Schalttransistoren verfügbar und dementsprechend schlecht waren die Ergebnisse. Mit dieser Technik konnte der Wirkungsgrad eines Leistungsverstärkers bis über 90 % getrieben werden, was die Netzteile der Geräte verkleinerte und die Kühlung deutlich vereinfachte. Diese Verstärkertechnik wird bisher vorwiegend in der PATechnik eingesetzt, wo sehr hohe Impulsleistungen benötigt werden und die Geräte möglichst klein gebaut sein sollten, um sie leicht transportieren zu können. Man sieht sie aber immer häufiger auch in der Studio- und Hi-Fi-Technik. Vor allem in der mehrkanaligen Heimkinotechnik sind diese Verstärker wegen des geringen Kühlungsbedarfs gefragt. Von den technischen Daten erreichen diese Verstärker die Werte der analogen nicht, oder nur annähernd, klanglich macht sich das allerdings kaum noch bemerkbar. Es gibt bereits getaktete Referenzverstärker im Hi- Fi-Sektor (z. B. Tact Millennium) – in Abhörmonitoren für Tonstudios ist diese Technik auch schon zu finden. Allerdings sind die bei geschalteten Strömen entstehenden HF-Störungen nicht unerheblich und machen große Probleme bei der Entstörung und der Einhaltung der geltenden EMV-Richtlinien. Denn schließlich soll die Audioperformance so hoch wie möglich sein und nicht durch aufwändige Filter eingeschränkt werden, und zum Zweiten sind hochwertige HF-Filter für große Ströme sehr teuer. Besonders bei Installationen mit großen Kabellängen sind diese Verstärker durch die HF-Reste im Audio-Signal problematisch. Soweit ein kurzer Überblick über die historische Entwicklung der Elektronik der Verstärkertechnik. Im nächsten Teil nehmen wir uns die interessantesten Schaltungen der 70er und 80er vor und schauen, was die Audio- Entwickler sich so alles haben einfallen lassen.

Quellen:

  • Rainer zur Linde: Verstärker in Röhrentechnik, Elektor
  • Rainer zur Linde: Schaltungen historischer Audio-Röhrengeräte, Elektor
  • www.mcintoshaudio.com

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