Electrowetting - altes Prinzip in neuen Anwendungen Teil 1/2

0,00
Aus ELVjournal 01/2008     0 Kommentare
 Electrowetting - altes Prinzip in neuen Anwendungen Teil 1/2

Inhalt des Fachbeitrags

PDF- / Onlineversion herunterladen

Die Vielfalt der Displaytechnologien hat seit wenigen Jahren durch den Electrowetting-Ansatz (to wet = benetzen) eine Erweiterung erfahren, die zu großen Erwartungen Anlass gibt. Dabei wird auf eine veränderliche Lichtdurchlässigkeit (light transmission) eines Display-Pixels über den elektrisch steuerbaren Kapillareffekt gesetzt. Dahinter verbirgt sich die Beeinflussung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten und damit deren Benetzungsverhalten an Grenzflächen durch ein elektrisches Feld. Dieser Effekt ist unabhängig von der Polarität des Feldes und reversibel.

Oberflächenspannungen

In einer Flüssigkeit herrschen im Inneren zwischen allen Molekülen gleiche Bindungskräfte. Anders am Rand oder, wie der Physiker sagt, an einer Grenzfläche zu einem anderen Medium, nehmen wir an Luft. Hier fehlen die Bindungskräfte aus der Luftseite und es ergeben sich resultierende Kräfte, welche die Teilchen im Bereich der Oberfläche nach innen ziehen wollen. Die Summe dieser Kräfte bewirkt eine mechanische Spannung der Wasseroberfläche. Diese Oberflächenspannung hat die Tendenz zur Bildung einer möglichst kleinen, energiearmen Oberfläche. Das kann man an einem tropfenden Wasserhahn gut studieren.
Bild 1: Wasser sammelt sich am Auslass des Wasserhahns zu einem „Wassersack“ mit einer gewissen Größe an, um dann abzureißen, wenn die Oberflächenspannungs-kräfte im Tropfen der Gewichtskraft unterliegen. Im Fall nimmt der Wassertropfen seine typische Form an.
Bild 1: Wasser sammelt sich am Auslass des Wasserhahns zu einem „Wassersack“ mit einer gewissen Größe an, um dann abzureißen, wenn die Oberflächenspannungs-kräfte im Tropfen der Gewichtskraft unterliegen. Im Fall nimmt der Wassertropfen seine typische Form an.
Die Abbildungen 1a bis 1c zeigen die drei Phasen der Entstehung eines Tropfens. In der ersten Phase (Abbildung 1a) sammelt sich Wasser am Ausfluss des Hahns. Dies wird von der Oberflächenspannung wie von einer umgebenden elastischen Hülle zusammengehalten. Hat sich so viel Wasser angesammelt, dass sein Gewicht größer als die Oberflächenspannung ist, löst sich ein Teil des Wassers und fällt nach unten (Abbildung 1b). Dabei entsteht eine Form mit möglichst kleiner Oberfläche, also eine Kugel. Andere angreifende Kräfte (Schwerkraft, Luftreibung) verursachen die typische Tropfenform (Abbildung 1c). An festen Grenzflächen haftet der Tropfen mehr oder weniger großflächig an. Dies ist abhängig davon, ob es sich um eine hydrophile (wasserannehmende) oder hydrophobe (wasserabweisende) Festkörperoberfläche handelt. Bei einem gut gewachsten und polierten Autolack gibt es daher nur kleine Berührungsflächen. Wassertropfen formen sich rund aus und perlen leicht ab.
Bild 2: Wasserläufer schwimmen nicht, sondern sie laufen auf dem Wasser. (Quelle: Markus Gaida)
Bild 2: Wasserläufer schwimmen nicht, sondern sie laufen auf dem Wasser. (Quelle: Markus Gaida)
Die Oberflächenspannung kann das Einsinken leichter Objekte mit hydrophoben Oberflächen verhindern. Ein Beispiel dafür ist der Wasserläufer, der ohne einzutauchen von der Wasseroberfläche getragen wird (Abbildung 2). Entsprechendes kann man beobachten, wenn man ein Stück Alufolie oder eine Rasierklinge vorsichtig auf eine Wasseroberfläche legt. Das Nichteintauchen hat nichts mit Schwimmen zu tun (wo die Auftriebskraft in Höhe der Gewichtskraft des verdrängten Wassers einen Gegenstand am Versinken hindert). Erst wenn man die Folie und Rasierklinge durch die Wasseroberfläche drückt, also die Oberflächenspannung überwindet, sinken beide ab, weil sie zu wenig Auftrieb erzeugen. Das Gleiche kann man beobachten, wenn man die Wasseroberfläche durch Zugabe von etwas Spülmittel entspannt.

Historisches

Bild 3: Gabriel Lippmanns Grundlagenforschungen haben der Electrowetting-Wissenschaft den Weg geebnet. (Quelle: Wikipedia)
Bild 3: Gabriel Lippmanns Grundlagenforschungen haben der Electrowetting-Wissenschaft den Weg geebnet. (Quelle: Wikipedia)
Bereits vor 132 Jahren veröffentlichte der französische Physiker Gabriel Lippmann (Abbildung 3) (1845–1921) einen Aufsatz, der sich mit dem Grenzflächenverhalten von Flüssigkeiten (Kapillareffekte) unter dem Einfluss elektrischer Spannungen beschäftigte (G. Lippmann, „Relations entre les phénomènes electriques et capillaires“, Ann. Chim. Phys., 5, 494–549; 1875). Eine seiner Erkenntnisse war, dass sich die Benetzungseigenschaften von Flüssigkeiten direkt an der Grenzfläche durch elektrische Felder verändern lassen, d. h. ohne dass ein andauernder Strom fließt. Den ins Englische übersetzten französischsprachigen Originalaufsatz von Lippmann und eine umfassende Darstellung des Gebiets findet der umfassend Interessierte in einem Aufsatz von F. Mugele und J.-C. Baret im Journal of Physics: Condensed Matter, 17 (2005), R 705–R774.

Der Electrowetting-Effekt

Bild 4: Je größer die elektrische Spannung, umso kleiner die Oberflächenspannung und umso breiter der Tropfen
Bild 4: Je größer die elektrische Spannung, umso kleiner die Oberflächenspannung und umso breiter der Tropfen
Der Electrowetting-Effekt lässt sich mit einem einfachen Experiment demonstrieren. Die Anordnung in Abbildung 4 besteht aus einer isolierenden Dielektrikumsschicht mit der relativen Dielektrizitätskonstante εr und der Dicke d, die an der Unterseite mit einer leitenden Fläche (Gegenelektrode) verbunden ist. Auf ihrer Oberseite befindet sich ein Flüssigkeitstropfen, der je nach Oberflächenbeschaffenheit des Dielektrikums eine mehr oder weniger runde Form hat. Wegen der ebenen Unterseite und der nach außen gewölbten Oberseite nennt man die Tropfenform planar-konvex.
Sticht man nun in den Tropfen eine dünne Elektrode ein, ändert dies seine Form zunächst nicht. Zwischen den Grenzschichten Dielektrikum–Luft und Flüssigkeit–Luft besteht ein Winkel von θ(0). Weil zwischen Elektrode und Gegenelektrode keine Spannung anliegt, spricht man auch vom Material-Kontaktwinkel (oder Young‘scher Kontaktwinkel). Wenn jedoch zwischen Elektrode und Gegenelektrode eine Spannung U angelegt wird, zerfließt der Tropfen, er wird breiter und flacher. Offensichtlich hat sich seine Oberflächenspannung verringert. Der Winkel zwischen der Tropfenoberfläche und dem Dielektrikum ist nun θ(U) < θ(0). Nach dem Entfernen der Spannung nimmt der Tropfen wieder seine Ausgangsform ein.

Die Lippmann-Gleichung (Gleichung 1) beschreibt dies. Dabei ist σlg die Grenzflächenenergie zwischen Flüssigkeit (liquid) und Luft (gas). Die Herleitung dieser Beziehung ist mit etwas Wissen über Grenzflächenchemie und Elektrostatik relativ einfach. Die Oberflächenenergie oder Oberflächenspannung (γ) ist als diejenige Energie definiert, die erforderlich ist, um die Oberfläche eines Mediums zu vergrößern. Sie ist am einfachsten am Beispiel einer Seifenblase zu verstehen. Gleichermaßen existiert sie bei einem Flüssigkeitstropfen nur an dessen Oberfläche.
Eine Betrachtung der Dimensionen erklärt, warum Oberflächenenergie und Oberflächenspannung synonym gebraucht werden dürfen. Aus der Definition von γ als Oberflächenenergie ist die Dimension Energie/Fläche also Joule/m² ersichtlich. Wird die Energie Joule als das Produkt aus Kraft und Weg (Nm) interpretiert, verbleibt Kraft/Weg (N/m), also die Dimension einer mechanischen Spannung, wie sie z. B. beim „Spannen” einer Feder auftritt. Gehen wir von einem Tropfen auf einer festen Oberfläche aus, der von Luft umgeben ist. Wir haben es hier mit einem Dreiphasensystem zu tun, weil es von Gas (Luft), Festkörper (Materialoberfläche) und Flüssigkeit (Wasser) gebildet wird.

Bild 5: Mit diesen Bezeichnungen für die Spannungen an den gemeinsamen Grenzen von Flüssigkeit, Gas und Festkörper kann man die Young´sche Gleichung herleiten.
Bild 5: Mit diesen Bezeichnungen für die Spannungen an den gemeinsamen Grenzen von Flüssigkeit, Gas und Festkörper kann man die Young´sche Gleichung herleiten.
An der Berührungskante der drei Medien bildet sich ein Kontaktwinkel Θ zwischen der Flüssigkeit und der Festkörperoberfläche aus, der durch die Young-Gleichung beschrieben wird (vergl. Abbildung 5 und Gleichung 2). Die Indizes der Grenzflächenspannungen σ geben an, welche Grenzflächen aufeinandertreffen, z. B. ist σlg die resultierende Spannung in der Grenzfläche zwischen Flüssigkeit (liquid) und Gas (gas). Wird nun der Festkörper als Kondensator (also als mit Elektroden beschichtetes Substrat) ausgebildet, den man auf eine Spannung U auflädt, ist in ihm die Energie gespeichert.

Weil diese von einer externen Spannungsquelle herrührt, muss sie von der Grenzflächenenergie zwischen Tropfen und Substrat abgezogen werden (Gleichung 3). Setzt man Gleichung 3 in Gleichung 2 ein und löst nach cos θ auf, ergibt sich die Lippmann-Gleichung (Gleichung 1). An dieser erkennt man: Das Dielektrikum muss eine hohe relative Dielektrizitätskonstante aufweisen und möglichst dünn sein, um mit nicht allzu großen Spannungen nennenswerte Winkeländerungen hervorrufen zu können. Bei Tröpfchendurchmessern in der Größenordnung von 1 mm und einer Dielektrikumsdicke von 1 μm sind mit einer Spannung von 30 V in 100 ms Winkeländerungen von 70 bis 80 ° zu erzielen.

Anwendungen des Electrowetting-Effekts

Bei entsprechender Ausgestaltung der Geometrie der Elektroden, des Flüssigkeitsraums, der Flüssigkeitsmischungen und der anderen beteiligten Materialien sind zahlreiche Anwendungen in den Bereichen Displays, Flüssiglinsen und mikrofluidische Systeme möglich. Dieser Artikel will sich auf Displays und Linsen beschränken.

Displays nach dem Electrowetting-Prinzip

Electrowetting-Displays (EWDs) sind wie jedes digitale Display in horizontal und vertikal angeordnete Bildpunkte gegliedert. Weil bei dem EW-Effekt kein Licht freigesetzt wird, benötigen diese Displays zur Darstellung Umgebungslicht.

Einfarbig

Bild 6: In dieser Stapelanordnung bewirkt das Anlegen einer Spannung das Verdrängen des Ölfilms. Damit ist der reflektierende Hintergrund freigelegt.
Bild 6: In dieser Stapelanordnung bewirkt das Anlegen einer Spannung das Verdrängen des Ölfilms. Damit ist der reflektierende Hintergrund freigelegt.
Jedes Pixel eines EWDs besteht im Prinzip aus 4 übereinander liegenden Schichten: einem weiß reflektierenden Trägersubstrat mit transparenter Gegenelektrode, einer transparenten hydrophoben (wasserabweisenden) Isolation, gefärbtem Öl und Wasser mit Elektrode. Im spannungslosen Gleichgewicht bildet das Öl einen gleichmäßigen Film zwischen dem Wasser und der wasserabweisenden Isolationsschicht (Abbildung 6 links). Damit hat das System den niedrigstmöglichen Energiezustand angenommen. Wird die Zelle mit weißem Licht bestrahlt, reflektiert sie jetzt in der Farbe der Ölschicht. Wenn eine Spannung zwischen der Wasserschicht und dem hydrophoben Isolator angelegt wird, wird das Energiegleichgewicht durch einen elektrostatischen Term erweitert. Das System ist wieder bestrebt, seinen Energiezustand zu minimieren, was den Kontakt der Wasserschicht mit dem Isolator erfordert. Dadurch wird die Ölschicht verdrängt und die darunter liegende reflektierende Oberfläche freigelegt (Abbildung 6 rechts). Jetzt dominiert die weiße Farbe des Substrats das reflektierte Licht. Weil die Oberflächenspannungen bei den typischen Kantenlängen einer Zelle von weniger als 200 μm über 1000-mal größer als die Erdanziehungskräfte sind, ist der Ölfilm lageunabhängig stabil.
Bild 7: Wenn an allen Pixeln eines monochromen Electrowetting-Displays keine elektrische Spannung anliegt, zeigt das Display die Farbe des Ölfilms (Rot), im Zwischenbereich eine entsättigte Farbe und bei voller Verdrängung des Ölfilms Weiß.
Bild 7: Wenn an allen Pixeln eines monochromen Electrowetting-Displays keine elektrische Spannung anliegt, zeigt das Display die Farbe des Ölfilms (Rot), im Zwischenbereich eine entsättigte Farbe und bei voller Verdrängung des Ölfilms Weiß.
Die Draufsicht auf eine EWD-Matrix mit derartigen Pixel-Zellen zeigt Abbildung 7. Dem Gleichgewicht zwischen elektrostatischen Kräften und der Oberflächenspannung entsprechend wird das Öl mehr oder weniger stark verdrängt und so stufenlos das Erscheinungsbild der Pixel-Zellen zwischen einem farbigen Aus-Zustand und einem weißen Ein-Zustand variiert. Jede Zelle eines EWD ist damit ein spannungsgesteuertes Lichtventil. Das Auge integriert das Lichtreflexionsverhalten aller Zellen zu einem Gesamtbildeindruck. Bei der Stärke der Ölschicht muss ein Kompromiss zwischen optischer Kontrastwirkung und hoher Beweglichkeit bereits bei kleineren Spannungen geschlossen werden.

Vollfarbig

Bei vollfarbigen Displays bilden drei benachbarte rote, grüne und blaue Farbpixel (Subpixel) ein Mischfarbpixel. Als reflexives Display, welches nur mit Auflicht funktioniert, hat ein EWD erhebliche Vorteile gegenüber einem LCD ohne Rückbeleuchtung. Bei diesem muss das einfallende Licht einmal die Flüssigkristallstruktur und einen Polarisator durchlaufen, um bis zu ihrer reflektierenden untersten Schicht zu gelangen, und dann ein zweites Mal, um wieder ans Auge des Betrachters zu gelangen. Dabei erleidet es Verluste in der Größenordnung von 50 %. Deshalb sind Helligkeit und Kontrast eines solchen transflexiven LCD erheblich geringer als bei einem EWD. EWDs weisen somit eine erheblich bessere Lichtausbeute auf. Sie wird durch den Farbumwandlungsfaktor CCF (Color Conversion Factor = einfallendes Licht / reflektiertes Licht) beschrieben, der zwei- bis sechsmal größer ist als bei Flüssigkristalldisplays.

Prinzipaufbau eines Einschicht-EWDs

Bild 6: In dieser Stapelanordnung bewirkt das Anlegen einer Spannung das Verdrängen des Ölfilms. Damit ist der refl ektierende Hintergrund freigelegt.
Bild 6: In dieser Stapelanordnung bewirkt das Anlegen einer Spannung das Verdrängen des Ölfilms. Damit ist der refl ektierende Hintergrund freigelegt.
Die beschriebene Architektur (siehe Abbildung 6) ermöglicht die Herstellung besonders preiswerter Displays. Sie beruht auf gleichartigen Pixel-Zellen, deren Hintergrund weiß ist und im neutralen Zustand von einer schwarzen, d. h. Licht absorbierenden Ölschicht abgedeckt wird.
Bild 8: Jeweils drei RGB-Subpixel bilden ein Pixel, das einen beliebigen Farbton annehmen kann.
Bild 8: Jeweils drei RGB-Subpixel bilden ein Pixel, das einen beliebigen Farbton annehmen kann.
Auf der Lichteinfallseite ist vor jeder Pixel-Zelle ein transparentes Farbfilter mit abwechselnd roter, grüner und blauer Farbe angebracht (Abbildung 8). Demzufolge fällt in die Zelle entsprechend einfarbiges Licht, welches durch den mehr oder weniger verdrängten Ölfilm stärker oder schwächer reflektiert die Zelle über den Farbfilter wieder verlässt. Die Intensität der Pixelfarbe ist also zwischen „max“ (Hintergrund weiß) und „min“ (Hintergrund schwarz) steuerbar. Die additive Überlagerung der zurückgestrahlten Subpixelfarben resultiert in einer Mischfarbe des gesamten Pixels. Im 2. Teil dieses Artikels werden EWD-Strukturen gezeigt, bei denen jedes Pixel jede Farbe annnehmen kann und deshalb nicht mehr aus benachbarten Subpixeln gebildet werden muss. Ein kleiner Ausflug in die Mikrofluidik und die hochaktuelle Anwendung des EW-Prinzips in optischen Linsen mit veränderlicher Brechkraft lassen ahnen, dass noch viele Einsatzfelder darauf warten, „beackert“ zu werden.

Fachbeitrag online und als PDF-Download herunterladen

Inhalt

Sie erhalten den Artikel in 2 Versionen:

online  als Online-Version

pdf  als PDF (4 Seiten)

Sie erhalten folgende Artikel:
  • Electrowetting - altes Prinzip in neuen Anwendungen Teil 1/2
    • 1 x Journalbericht


Hinterlassen Sie einen Kommentar:
  Name
  E-Mail
KATEGORIEN
DAS KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN
 
1