Eine Post-Geschichte

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Von Wolfgang.

Immer wieder mache ich mir Gedanken darüber, was denn in unserer Zeit, in der schon so viel im Bereich der Dienstleistung besser geworden ist, noch zu tun ist und ob die Reduktion der Aufwände, die von Dienstleitungs-Unternehmen vorangetrieben wird, an der richtigen Stelle ankommt.

Da ist es erhellend, Geschichten zu erleben, die uns die Gelegenheit geben, Potentiale zur Verbesserung zu erkennen:

Die moderne Welt des Online-Handels ...

Am 15.02.2016 bestelle ich Online bei Amazon 3 Geburtstagsgeschenke für die Kinder. Nun soll sich mein Amazon-Prime Vertrag auszahlen, auf Grund dessen mir auf der Webseite von Amazon auch ein Liefertermin von 18.02.2016 in Aussicht gestellt wird. Um von den Öffnungszeiten der Post-Filialen unabhängig zu bleiben (die Zustellung durch den Post-Paketbriefträger erfolgt ja ohnehin immer zu Zeiten, zu denen ich nicht zu Hause bin), nehme ich auch das Angebot in Anspruch, an eine Post-Abholstation (Automat), die sich neben meiner Postfiliale in Purkersdorf, Linzerstraße 3, befindet, zu liefern. Die Geburtstagsfeier soll am 19.02. stattfinden und ich freue mich auf eine entspannte Zeit im Kreis der Familie.


Am 18.02. Vormittag erhalte ich per E-Mail die Benachrichtigung, dass mein Paket mit allen 3 Dingen soeben an die Abholstation zugestellt wurde. Ich freue mich, dass die Sache so gut läuft, verdränge kurz das schlechte Gewissen, dass bei Amazon Arbeitskräfte mit niedrigen Löhnen ausgebeutet werden und mache mich am Weg von der Arbeit nach Hause auf zur Abholstation.

... trifft auf die beständige Welt der Postverwaltung

Nun beginnt der Teil der Geschichte, der nicht von unterbezahlten Arbeitssklaven, sondern von Angestellten der österreichischen Post AG (ob sie jetzt noch Beamte sind, ist im Einzelfall unterschiedlich) zu skurrilen Höhepunkten gebracht wird:


Bei der Ankunft am 18.02.2016 um 19:10 begrüßt mich die „Abholstation“ mit dem Text „bitte warten, der Automat steht ihnen in Kürze wieder zur Verfügung“ auf ihrem Bildschirm.

Ich bin (noch) geduldig und warte. Es soll ja schon vorgekommen sein, dass „in Kürze“ ja wirklich nur wenige Minuten oder gar Sekunden ist, besonders, wenn der Benutzer mit „bitte warten“ dazu aufgefordert wird.

Nach 5 Minuten hat sich leider an der Anzeige nicht geändert, aber ich gebe dem Automaten (der wahrscheinlich nicht im Beamtenstatus ist) noch ein bisschen Zeit, indem ich versuche, ob sich an der Anzeige etwas ändert, wenn man auf verschiedene „Buttons“ auf dem Touch-Screen drückt. Der Computer im Automaten dürfte im Prinzip funktionieren, da ich die Nachricht in 4 verschiedenen Sprachen anzeigen kann.

Bei der Gelegenheit fällt mein Blick auf einen Informationstext am unteren Ende des Bildschirms, der mir rät:

„Kontaktieren Sie das Personal in der Filiale oder rufen sie die Nummer 0810-01 01 01“

Da die fleißigen Postfüchse um 19:15 ja nicht mehr in ihrem Bau sind (sie haben ja im Gegensatz zu den Arbeitssklaven geregelte Arbeitszeiten), rufe ich (natürlich mit dem Mobil-Telefon, die Telefonzelle neben dem Postamt ist schon längst leer) die Nummer 0810-01 01 01 an, unter der ich nach nur 2 Minuten entspannender Warteschleifen-Musik auch schon Kontakt mit einer Mitarbeiterin des „Post-Service“ bekomme.

Post Service verzweifelt

Die Dame lässt sich genau beschreiben, wo ich gerade stehe, welche Postleitzahl Purkersdorf hat und was der Automat anzeigt. Ihre Diagnose ist: „Ja, das weiß ich nicht“. Auf meine Frage, ob denn das „Post-Service“ nicht wisse, wann ein Automat kaputt wäre, folgt ebenso ein schon genervteres „Das weiß ich nicht!“, auf die Frage, was jetzt getan werden könnte, ein trauriges „Das weiß ich nicht“. Die Frage, ob denn jemand anderer wissen könnte, was man tun könnte, kann ich nicht mehr stellen, da die Verbindung unterbrochen wird.

Ein erneuter Anruf führt zu einer anderen Mitarbeiterin, die, nachdem sie alles noch einmal erfassen musste dann bescheidet: „Das kann ich nur den Kollegen weiterleiten“ und auf die Frage, wann da was passieren wird, meine Telefonnummer aufnimmt mit dem Versprechen, mich informieren zu lassen.

Post Service aktiv!

Schon 11 Stunden später, am 19.02.2016 um 08:20 Uhr meldet sich eine praktischer (und ausgeruhter) klingende Kollegin der beiden Post-Service-Damen, die zuerst einmal fragt, ob es sich um einen Frankier-Automaten handelt …

Auf meine verwunderte Rückfrage, was sie denn überhaupt über den Fall wisse (wie wir uns erinnern, haben die beiden Kolleginnen sehr genaue Details verlangt und auch bekommen!) antwortet sie mir, dass sie einen „Zettel mit: Automat funktioniert nicht, wann geschieht was“ und meiner Telefonnummer vor sich hat.

Zu ihrer Ehre soll erwähnt werden, dass ihr die Sachlage nach ungefähr 30 Sekunden weiterer Erklärung verständlich ist. Sie fragt das System der Abholstationen ab, findet heraus, dass mein Paket im fraglichen Automaten sein muss und verleiht Ihrer Meinung Ausdruck, dass die Kollegen in der Filiale das Paket jederzeit aushändigen können sollten. Sie verspricht sofortige Verfolgung und mich zu benachrichtigen.

Eine "abgestürzte Filiale"

In der Zwischenzeit begebe ich mich auf dem Weg zur Arbeit in die Postfiliale 3002, Linzerstraße 3, in Purkersdorf. Dort ist einer der Mitarbeiter, Hr. Dominik Hohentanner, den ich schon kenne und mich von Ihm auch gut betreut fühle, gerade in der unangenehmen Situation, einem anderen Kunden erklären zu müssen, dass er kein Paket aufgeben könne (es ist scheinbar ein österreichisches Spezifikum, dass man in diesem Lande ein Paket „aufgibt“, so wie man alle Hoffnung aufgibt …), weil „der Computer gerade abgestürzt ist“.

Die Diskussion der beiden führt auch für mich zu einer Wartezeit, in der sich die Schlange der Wartenden (Hr. Hohentanner ist der einzige, der gerade Kunden betreut) schon verlängert. Eine Kollegin von Hr. Hohentanner schlendert gerade mit ihrem frisch gebrauten Kaffee durch den Filialraum und beobachtet die Situation interessiert.

Als ich nun an der Reihe bin, bringe ich mein Anliegen vor und erfahre:

  • Dass "der Computer abgestürzt ist"
  • Dass deswegen mein Paket nicht aus der Abholstation entnommen werden kann
  • Dass es (anders als in der „guten alten Zeit“) es keine andere Möglichkeit gibt, die Fächer der Abholstation zu öffnen als „mit dem Computer“ und nein, es gäbe auch keine Not-Prozedur bei Gefahr
  • Dass eigentlich die Netzwerkverbindung der Filiale nicht funktioniert und „der Techniker irgendwann am Vormittag kommt“
  • Dass die Kollegin mit dem Kaffee-Häferl einen Informationsvorsprung hat und weiß, dass „in den nächsten 3 Stunden“ was passieren soll (scheinbar ist das ihre Aufgabe, deshalb kann sie sich nicht um andere Kunden kümmern, die in der immer länger werdenden Warteschlange warten)
  • Dass bei meiner Meldung des Problems am Vorabend um 19:30 selbstverständlich keine weitere Meldung gemacht wurde und daher die „3 Stunden“ erst jetzt zu laufen begonnen haben
  • Dass Hr. Hohentanner mich benachrichtigen wird, wenn das Problem behoben ist und es möglich ist, mein Paket abzuholen.

In der Zwischenzeit ist der Filialraum gefüllt mit Kunden, die zum Teil sorgenvoll auf die Pakete in ihren Armen blicken. Ich bescheide mich mit der Auskunft, beschließe, diese Geschichte aufzuzeichnen und setze meinen Weg zur Arbeit fort.

Von der Umwelt abgeschnitten

Um 10:00 erhalte ich einen interessanten Anruf von Service-Kollegin 3, die mich darüber informiert:

  • Dass die Filiale 3002 „scheinbar eine Leitungsstörung hat“
  • Die Kollegen dort daher nicht erreichbar wären (Ich trage daraufhin meinen Teil der Berichterstattung von der Front bei und übermittle meine Informationen aus der Filiale, man hilft ja, wo man kann …)
  • Man nicht sagen könne, wann eine Veränderung der Situation einträte
  • Man nicht wüsste, ob seitens der Service-Organisation der Post nicht eine Verpflichtung bestünde, einen doch nicht unwichtigen Fall, dass eine ganze Filiale nicht erreichbar ist, innerhalb einer bestimmten Zeit zu beheben
  • Man nicht wüsste, ob die Kollegen vielleicht über Mobiltelefon erreichbar wären
  • Man mich auf jeden Fall informieren würde, sobald man was wüsste …

Alles wird gut

Um 15:00 meldet sich der nicht erreichbare Hr. Hohentanner, um mich zu informieren, dass nun "alles wieder funktioniert".

Ich haste zum dritten Mal um 16:00 zur Abholstation, die, wie wenn nichts geschehen wäre, mir prompt meine Lieferung aushändigt.

Die Geburtstagsfeier begnnt um 16:30, ich schaffe es noch knapp, die Geschenke auch zu verpacken, alle freuen sich, wir haben einen netten Nachmittag und Abend!

Danke Amazon und Post!

Was lernen wir daraus ?

Nichts schlechtes, woraus wir nicht für die (bessere) Zukunft lernen könnten:

  • Ein Automat, der ohnehin Online sein muss, könnte auch von einem (ohnehin vorhandenen) Netzwerk-Überwachungs-Center (NOC) überwacht werden, und, wenn er nicht erreichbar ist, eine Nachforschung auslösen. Diese wäre in diesem Fall bereits um mindestens 19:20 des 18.02. geschehen und hätte wahrscheinlich den Defekt der Netzwerkanbindung der Filiale zu Tage gefördert, dessen Behebung dann schon am Abend in Angriff genommen worden wäre, was das Filialgeschäft am 19.02. reibungslos laufen hätte lassen.
  • Ein Service-Center, das einem Kunden 3 Mal sagen muss: "Ich weiss es nicht", hat zumindest 3 Möglichkeiten der Verbesserung der internen Kommunikation
  • Eine Service-Center-Mitarbeiterin, die einem Kunden "Ich weiss es nicht" sagen muss, sollte so geschult sein, dass sie wie der Verkäufer, der dem Kunden "ich kann Ihnen das nicht verkaufen" sagen muss, eher tot umfallen möchte.
    Ein lebensrettender Ausweg wäre dazu: "Lieber Kunde, ich werde der Sache nachgehen und Ihnen Bescheid geben und zwar bis xx:xx". Das muss man am Level 1 ja nicht selbst machen, dazu gibt es ja einen Level 2 oder Backoffice.
  • Ein Hinweis eines Kunden, dem nachgegangen wird, könnte in Abwesenheit eines NOC auch zur Entdeckung der kaputten Netzwerkanbindung führen
  • Ein Service Center, in dem nach umfangreicher Erhebung von Daten über Standort, Postleitzahl, Fehlermeldung usw. ein "Zettel mit 'Automat kaputt'" auf einem Schreibtisch landet, nutzt die Möglichkeiten seines (mit Sicherheit vorhandenen) elektronischen Call Management Systems nicht vollständig und hat auch hier Potential
  • Ein Unternehmen, das aufgrund des Naheverhältnisses mit einem Festnetz- und Mobil-Provider und aufgrund vorausschauender Weisheit die Mitarbeiter ohnehin mit Mobiltelefonen ausrüstet, könnte für den Fall des Ausfalls einer Festnetz/Netzwerk-Leitung einen "Plan B" für einen Not-Betrieb vieler (wenn nicht aller) Geschäftsprozesse "per Telefon" haben, was enorm Kompetenz gegenüber den Kunden zeigt und die Mitarbeiter nicht wie verzweifelte Kaninchen vor der allmächtigen "Der Computer ist abgestürzt" - Schlange dastehen lässt.

Diese Liste ließe sich noch fortsetzen, ich denke aber, dass die Idee rüber gekommen ist: Mit offenen Augen hinzusehen bringt immer neue Ideen!